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wie dieses sein würde, auszuweichen.«
»Bist du von Sinnen?«
»Nein! mein Vater. Der Grund ist der: Der Justizminister
hat mir gestern einen Posten mit 10 000 Franken jährlich
versprochen. Ihre 100 000 Franken mit dem, was ich be-
sitze, machen ein Einkommen von 20 000 Franken, und
ich habe in Paris Aussichten, welche tausendfach dieje-
nigen aufwiegen, die eine Verbindung, so arm an Glück,
wie reich an Gütern, mir gewähren kann!«
»Da sieht man's,« lächelte der Vater, »daß du nicht im
ancien regime gelebt hast, sonst würdest du wissen, daß
eine Gattin niemals ein Hindernis ist.«
»Aber, lieber Vater, heutzutage ist die Ehe «
»Wirklich?« unterbrach ihn der Graf, »so ist denn alles
wahr, was meine alten Emigrationsgefährten mir sagen,
die Revolution hat alle lustigen Sitten vertilgt, hat die
jungen Leute mit zweideutigen Grundsätzen angesteckt.
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Du sprichst ja wie ein Bruder Jakobiner von der Nation,
von der Sittenreinheit, von Uneigennützigkeit und was
weiß ich's o Gott! was würde ohne den Kaiser und sei-
ne Schwester aus uns werden.«
Als der alte Herr diese Worte vollendet, standen sie vor
der Kirchtüre. Beide traten lächelnd ein, und der muntere
Greis sogar, als er sich mit Weihwasser bekreuzigte,
brummte eine Arie aus der Oper »Rosa und Cola«. Er
führte seinen Sohn längs dem Seitengang und stand bei
jedem Pfeiler still, um die Köpfe zu betrachten, die wie
Soldaten in Reihe und Glied über die Kirchensitze her-
vorragten.
Das Amt begann. Die Damen, welche die Kongregation
bildeten, saßen dem Chor zunächst. Der Graf und sein
Sohn nahten sich dieser Gruppe, und um sie ungestört
betrachten zu können, lehnten sie sich an den finstersten
Pfeiler, von wo aus ihnen die zierlichen Köpfe wie Blu-
men auf einer Wiese erschienen.
Mit einem Male hub eine Stimme, sanfter als irgend zu
erwarten war, wie die erste Nachtigall nach dem Winter,
den Gesang an. Deutlich vernahm man die klangreichen
Töne, obschon tausend Weiber mitschrien und die Orgel
gleichfalls dazu brummte, die Stimme hallte ebenso süß
im Ohre wie im Herzen des Jünglings wider und ergriff
sein Innerstes wie der zu reiche und lebhafte Ton des
Kristalls.
Er wandte sich und entdeckte ganz in seiner Nähe ein
junges Frauenzimmer, aber ihr Gesicht blieb durch eine
Wendung ihres Hauptes hinter ihrem weißen Hute ver-
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borgen. Er glaubte, Angelika zu erkennen, trotz des brau-
nen Nonnenkleldes von Merino, und stieß seinen Vater
mit dem Ellenbogen an. der hinblickte und ihm ins Ohr
flüsterte: »Ja. sie sind's!«
Hierauf machte er durch eine Gebärde auch seinen Sohn
auf eine alte, blasse Frau aufmerksam. Ihr Auge, von
einem starken, dunklen Reif umgeben, hatte den Fremden
mit einem falschen Blicke, der vom Gebetbuche, welches
sie dicht unter der Nase hielt, sich nicht entfernt zu haben
schien, schon bemerkt. Die Wolken des Weihrauches
drangen bis zu den Pfeilern, Angelika hob das Haupt zum
Altar empor, und beim geheimnisvollen Schein der Al-
tarkerzen erkannte der junge Graf ein Antlitz, das ihn
innig rührte.
Es war überaus regelmäßig, ihr Haar ein falbes Blond,
die Augenbrauen bildeten zwei zarte Bogen über den
klaren, hellblauen Sternen, in welchen die Herzensrein-
heit nicht zu verkennen war, die Adlernase war ebenso
sein wie fest gezeichnet, und die Lippen glichen zweien
aufblühenden Rosenknospen. Obschon viel Kaltsinn in
ihren Zügen zu lesen war, so deutete Grandville dies lie-
ber auf die strenge Erziehung, als daß er die Gefährtin
seiner Jugend der Unempfindlichkeit hätte beschuldigen
mögen.
Eine Bewegung des stummen Lauschers zog auch die
Aufmerksamkeit der Betenden an. Sie wandte sich, und
obschon sie den Gespielen in der Dunkelheit nicht recht
erkennen konnte, färbte eine zarte Röte ihre Wangen, der
junge Advokat deutete dies zu seinem Vorteil und war
nicht wenig erfreut darüber. Der Vater triumphierte, An-
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gelika aber senkte den Schleier und betete eifrig und in-
brünstig weiter.
Das Amt war endlich zu Ende, wie der junge Grandville
es lange gewünscht. Als die Damen sich erhoben, zügelte
er seine Sehnsucht nicht länger und eilte, seine ehemalige
Gespielin zu begrüßen.
Die Wiedererkennungsszene war von beiden Seiten mehr
schüchtern als herzlich, denn sie fand unter dem goti-
schen Portal der Kathedrale und in Gegenwart rechtgläu-
biger Seelen statt. Madame Bontemps war aber hoch er-
freut und nahm eine sehr stolze Miene an, als Herr von
Grandville den Arm ihr bot, dieser indessen war mit der
zärtlichen Ungebühr seines Sohnes wenig zufrieden, die
ihn in Gegenwart aller Leute zu dieser Artigkeit genötigt
hatte.
Erst vierzehn Tage nach diesem Auftritte sollte, nach
Angelikas Wunsche, die Vermählung stattfinden. Grand-
ville besuchte seine schöne Geliebte täglich in ihrer fins-
tern Klause und gewöhnte sich an die Einförmigkeit. Die
häufigen Besuche sollten ihm dazu dienen, Angelikas
Charakter kennen zu lernen, denn glücklicherweise ver-
mochte die Leidenschaft nicht das Urteil in ihm zu ersti-
cken.
Gewöhnlich überraschte er sie, vor einem hölzernen Bil-
de der heiligen Lucia sitzend und beschäftigt, das Lei-
nenzeug zu ihrer Aussteuer selbst zu zeichnen. Niemals
brachte sie das Gespräch auf Religion; wenn es dem jun-
gen Rechtsgelehrten einfiel, mit ihrem kostbaren Rosen-
kranz zu spielen, welcher in einem Beutel von grünem
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Samt aufbewahrt wurde, und er mit einer allzuweltlichen
Miene die Reliquien zählte, womit diese Werkzeuge der
Andacht gewöhnlich verziert sind, nahm ihm Angelika
mit einem flehenden Blicke das Spielzeug aus den Hän-
den und schob es, ohne ein Wort zu sagen, in das Behält-
nis zurück.
Wenn Grandville in einer boshaften Laune es wagte, wi-
der einige Religionsgebräuche zu reden, antwortete sie
ihm mit einem wohlwollenden Lächeln:
»Man muß entweder nichts glauben oder alles, was die
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